Haare hat Ahmad Bagheri in seiner alten Heimat, dem Iran, schon oft geschnitten ¿ allerdings nur bei Herren. Bei Schreiber¿s Top in Radolfzell lernt er auch den Umgang mit Damenfrisuren.
Handwerkskammer Konstanz
Haare hat Ahmad Bagheri in seiner alten Heimat, dem Iran, schon oft geschnitten ¿ allerdings nur bei Herren. Bei Schreiber¿s Top in Radolfzell lernt er auch den Umgang mit Damenfrisuren.

Erste Schritte im Handwerk

Zum Abschluss des Projekts PerjuF absolvieren Flüchtlinge Praktika in verschiedenen Betrieben. Das neue Integrationsgesetz erleichtert eine anschließende Ausbildung und Beschäftigung.

Selbst mitarbeiten und dabei einen Beruf erlernen ist der Wunsch von Ahmad Bagheri. Der 27-Jährige absolviert sein Betriebspraktikum in dem Radolfzeller Friseur-Salon Schreiber’s Top. Hier schaut er den Mitarbeitern über die Schulter, wäscht Haare und trägt Farbe am Übungskopf auf. Sein Chef, Lothar Schreiber, ist zufrieden mit seinem Praktikanten: „Er ist richtig bei der Sache, das merkt man. Er will lernen und ist sehr ehrgeizig.“ Ob er ihn am Ende übernimmt ist noch unklar. Denn um auch in der Berufsschule erfolgreich zu sein, muss Ahmad Bagheri sein Deutsch noch etwas verbessern – dann stünde einer Ausbildung jedoch nichts mehr im Weg, auch nicht sein Aufenthaltsstatus. Denn das neue Integrationsgesetz schafft Sicherheit für Arbeitgeber: Wer sich bislang sorgte, ein Flüchtling könnte während der Ausbildung abgeschoben werden, kann jetzt auf die „3+2 Regelung“ vertrauen. Danach hat ein Auszubildender grundsätzlich Anspruch auf Beendigung der Ausbildung und kann anschließend auch noch zwei Jahre im Betrieb weiterarbeiten – unabhängig vom Alter. Weitere Neuerungen des Integrationsgesetzes finden Sie im Infotext unten.

Saber Safi (links) lernt gerne - und das sieht man ihm auch an. Stuckateurmeister Max Maier (rechts) zeigt dem 22-Jährigen in seinem Praktikum bei der Firma Sauter in Singen jeden Tag Neues.
Handwerkskammer Konstanz
Saber Safi (links) lernt gerne - und das sieht man ihm auch an. Stuckateurmeister Max Maier (rechts) zeigt dem 22-Jährigen in seinem Praktikum bei der Firma Sauter in Singen jeden Tag Neues.
„Das Wichtigste ist lernen, lernen, lernen“, sagt Saber Safi. Der 22-Jährige weiß, wovon er spricht. Vor 12 Monaten kam er nach Deutschland, der Krieg hat ihn aus seiner Heimat vertrieben. In Afghanistan besuchte er keine Schule. Zu gefährlich. Saber Safi kann die Worte seiner eigenen Sprache weder lesen noch schreiben. Aber Deutsch kann er, lesen und schreiben. Er hat es sich selbst beigebracht. Denn er weiß, um hier eine Arbeit zu finden, ist die deutsche Sprache unerlässlich. Safi träumt von einer Ausbildung als Trockenbaumonteur. In seinem Praktikum bei der Firma Sauter in Singen kommt er diesem Traum einen Schritt näher. Zwei Wochen lang begleitet er Stuckateurmeister Max Maier auf der Baustelle. Der zeigt ihm, wie Wände geschliffen und Fußböden ausgebrochen werden. „Die Arbeit macht Spaß, klar, ich will ja unbedingt arbeiten“, sagt Safi.

Im Rahmen des bundesweiten Projekts „Perspektiven für junge Flüchtlinge im Handwerk“, kurz PerjuF-H, wurde er darauf vorbereitet. Über drei Monate hinweg lernte er mit anderen Flüchtlingen an der Bildungsakademie Singen das Handwerk, die Sprache und auch die Regeln der deutschen Arbeitswelt kennen. Zum Abschluss des Projekts können die Flüchtlinge jetzt ihre neu erworbenen Kenntnisse in einem Betriebspraktikum unter Beweis stellen.

„Diese Kombination aus Deutschunterricht, Praktikum und Berufsorientierung macht PerjuF so wertvoll. Es ermöglicht jungen Flüchtlingen die erste Annäherung an unsere Arbeitswelt“, sagt Jutta Driesch, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg. Gemeinsam mit dem Jobcenter kommt die Agentur für die Finanzierung des Projekts auf und hilft mit ihren Beratungsangeboten für Flüchtlinge, Teilnehmer für das Projekt zu gewinnen. Kooperationspartner ist die Handwerkskammer Konstanz, die neben den Räumlichkeiten ihrer Bildungsakademie auch das Netzwerk zur Vermittlung der Praktika einbringt. „Integration ist im Handwerk seit jeher eine Selbstverständlichkeit“, sagt Raimund Kegel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz. „Die familienähnlichen Strukturen in unseren Handwerksbetrieben unterstützen die Sozialisation. Gleichzeitig stärkt das teamorientierte Arbeiten das Selbstbewusstsein und wirkt unheimlich motivierend“, ist Raimund Kegel überzeugt.

Für Saber Safi stehen die Chancen gut, eine Anstellung bei der Firma Sauter zu erhalten. „Wenn er sich weiterhin so gut schlägt, würden wir ihm gerne die Chance geben“, sagt Ulrike Sauter-Steidle. Und auch ihr Mann, Josef Steidle, bekräftigt: „Wenn die Sprachkenntnisse und der Wille da sind, finden wir einen Weg.“

Neues Integrationsgesetz
Die wichtigsten Änderungen für das Handwerk

Mit dem neuen Integrationsgesetz soll die Beschäftigung von Flüchtlingen erleichtert und ihre Integration vorangetrieben werden. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Zugang zum Arbeitsmarkt
Bislang bekam ein Asylsuchender erst mit der langwierigen Stellung eines Asylantrags eine Aufenthaltsgestattung. Nach der neuen Regelung erhält der Asylsuchende die Gestattung schon wesentlich früher mit der Ausstellung des Ankunftsnachweises.

Integrationskurs
Flüchtlinge sollen schneller Sprache und Kultur kennen lernen. Bisher konnten nur Menschen mit einem Aufenthaltstitel am Integrationskurs teilnehmen, nun steht er auch für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive offen. Entscheidend für den Status sind die Herkunftsländer. Eine gute Bleibeperspektive haben derzeit Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Syrien und Eritrea.

Fördermöglichkeiten
Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive gehören jetzt zum förderungsfähigen Personenkreis und können in der Ausbildung zum Beispiel ausbildungsbegleitende Hilfen erhalten.

Ausbildung
Die für Handwerksbetriebe relevanteste Neuerung ist die Einführung der „3+2 Regelung“. Danach hat ein Auszubildender grundsätzlich Anspruch auf Beendigung der Ausbildung und kann danach noch zwei Jahre im Betrieb weiterarbeiten – unabhängig von seinem Alter. Zuvor war dies nur bis zum 21. Lebensjahr möglich und musste von Jahr zu Jahr neu beantragt werden, sodass immer das Risiko einer Abschiebung bestand. Aber aufgepasst: Der Betrieb muss bei Abbruch oder Wechsel der Ausbildung innerhalb einer Woche die zuständige Behörde informieren, sonst droht ein Bußgeld.

Veranstaltungsreihe – Handwerkskammer informiert
Für November sind mehrere Informationsveranstaltungen für Betriebe geplant. Gemeinsam mit der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter und der Ausländerbehörde informiert die Handwerkskammer über alle Schritte zur Beschäftigung eines Flüchtlings.