Viel Motivation und viel Miteinander: Johannes Pieper (ganz rechts) will die Ausbildung zum Kfz-Fachpraktiker unbedingt schaffen. Frank Leitner, Wolf Leitner und Geselle Patrick Glasze (v.l.) stehen ihm dabei zur Seite.
Handwerkskammer Konstanz
Viel Motivation und viel Miteinander: Johannes Pieper (ganz rechts) will die Ausbildung zum Kfz-Fachpraktiker unbedingt schaffen. Frank Leitner, Wolf Leitner und Geselle Patrick Glasze (v.l.) stehen ihm dabei zur Seite.

Handwerk inklusiv

In der Hörigarage Leitner wird Johannes Pieper zum Kfz-Fachpraktiker ausgebildet

Dass es im Aufenthaltsraum Sofas für eine erholsame Mittagspause gibt oder dass sie gerade alle zusammen einen Billardtisch bauen, um nach Feierabend noch ein bisschen spielen zu können: Das zeigt schon ein bisschen, dass es in der Hörigarage um mehr geht als ums gemeinsame Arbeiten. Es ist im besten Sinne ein Familienbetrieb. Und das nicht nur, weil hier zwei Generationen, nämlich Frank und Heide Leitner und Sohn Wolf Leitner, Hand in Hand arbeiten. Sondern auch, weil auch bei der Arbeit Platz für unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen ist. Zum Beispiel für einen Auszubildenden, der genau so ein Umfeld bracht.

Seit einem Jahr gehört Johannes Pieper zum Team der Kfz-Werkstatt im beschaulichen Öhningen am Bodensee. Eines Tages war der junge Mann aus dem Nachbarort für ein Praktikum da und legte großes Geschick an den Tag. Kein Wunder, schließlich hat Johannes schon immer mitangepackt, auf dem Hof der Familie Rasenmäher und Traktoren repariert. Was ihm als Schüler einer Förderschule fehlte, war eine Chance. Die bekam er bei den Leitners. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Fachpraktiker für Kfz-Mechatronik (siehe unten) – und ist damit schon ziemlich nahe an seinem Traumberuf.

Lernen von Grund auf

„Inklusion ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir freuen uns einfach, dass Johannes bei uns ist“, sagt Frank Leitner. Als Zivi hat er früher bei der individuellen Betreuung Schwerstbehinderter mitgeholfen. Mit einem eigens umgebauten Bus sind sie damals bis nach Spanien gekommen. Aber diese Erfahrung ist gar nicht der Grund für sein jetziges Engagement. Der liegt vielmehr in der Überzeugung, dass die Dinge manchmal gar nicht so kompliziert sind, wenn man nur will. „Der Wille reicht“, sagt Leitner. Und das gelte sowohl für den Azubi wie für seinen Ausbilder: „Man kann auch komplexe Dinge verständlich machen“, das weiß Leitner spätestens seit seiner eigenen Ausbildung, damals bei Mercedes in Sindelfingen. „Heute wird das Basiswissen zum Teil gar nicht mehr vermittelt“, bedauert er. Deshalb hat er eine eigene Werkstatt mit allerhand Gerät für die mechanische Bearbeitung von Karosserie- und Motorteilen eingerichtet. „Woher sollen die jungen Leute sonst wissen, was ein Feingewinde ist?“, fragt der Kfz-Meister.

Das Team zieht mit und gewinnt

Die praktische Anschauung ist das eine. Das andere ist die Offenheit, mit der die gesamte Mannschaft der Hörigarage den Neuzugang aufgenommen hat und seine Ausbildung mitträgt. „Ein Geselle, der ein Händchen dafür hat, steht Johannes tagtäglich zur Seite“, erklärt Leitner. Patrick Glasze hilft dem Azubi nicht nur bei Fragen weiter, sondern geht auch die Ereignisse des Tages mit ihm durch. Ein innerbetriebliches Bewertungssystem soll Johannes dabei helfen, die eigenen Lernerfolge und Leistungen einschätzen zu können und am Ball zu bleiben. Und noch eine Erfahrung haben die Leitners und ihre Mitarbeiter gemacht: „Wenn jemand mehr Aufmerksamkeit braucht, wachsen alle mehr zusammen“, hat Frank Leitner beobachtet.

Individuelle Wege und Unterstützung

Das didaktische Geschick des Ausbilders und der gute Zusammenhalt im Team machen es für Johannes Pieper leicht, sich voll aufs Lernen zu konzentrieren und mit Freude an die Arbeit zu gehen. Nicht ganz so einfach war es dagegen, den richtigen Rahmen für diese Ausbildung zu finden. Da hat Heidrun Walschburger vom Beruflichen Fortbildungszentrum (BFZ) zusammen mit Susanne Hillan, Ausbildungsberaterin der Handwerkskammer Konstanz, und Oliver Heuer vom Arbeitgeber-Service der Arbeitsagentur Konstanz-Ravensburg einiges in Bewegung setzen müssen. Beispielsweise gestaltete sich die Suche nach der richtigen Schule für Johannes zunächst schwierig, denn Inklusion ist im Klassenzimmer nach wie vor nicht die Regel. „Die Infrastruktur fehlt häufig noch“, sagt Heidrun Walschburger.

Sie hat trotzdem eine Lösung gefunden. Jetzt besucht Johannes den Unterricht im Berufsbildungswerk Adolf Aich in Ravensburg. Das bedeutet für den 17-Jährigen zweimal in der Woche: Abfahrt um fünf Uhr morgens. Die Oma hat den Fahrdienst übernommen. Und dann gibt es noch der Einzelunterricht, für den Johannes regelmäßig ins BFZ nach Singen fährt. „Das allein zeigt schon, wie groß sein Einsatz ist“, sagt Frank Leitner. Deshalb ist er sich auch sicher, dass sein Azubi es schaffen wird: „Ich trau dem Johannes sogar noch mehr zu.“

Der hört das gerne. Schließlich hat er selbst auch viel vor: „Erst mache ich die Ausbildung fertig und dann sattle ich vielleicht noch den Kfz-Mechatroniker drauf“, sagt Johannes Pieper. Und will dann nicht mehr lange reden, sondern lieber wieder an die Arbeit.

Hintergrund:

Neben den Regelausbildungsberufen können Menschen mit Förderbedarf auch eine duale Ausbildung als Fachpraktiker, Fachwerker oder Facharbeiter absolvieren. Dazu trifft die Handwerkskammer besondere Regelungen. Die Inhalte orientieren sich dabei an den üblichen Ausbildungsberufen, gewichten aber beispielsweise die fachpraktischen Teile stärker als die Theorie. Unter Umständen kann die Ausbildung mit einem Zuschuss von der Arbeitsagentur gefördert werden, bei Bedarf bekommen Betriebe und Auszubildende auch sozialpädagogische Unterstützung.

Ausbildungen für Fachpraktiker gibt es bereits in den unterschiedlichsten Gewerken, etwa für Holzverarbeitung, Kfz-Mechatronik, Metallbau, Fleischer oder Fachverkauf im Lebensmittelhandwerk, außerdem in Berufen wie Ausbau- bzw. Hochbaufacharbeiter, Bau- und Metallmaler, Metallfeinbearbeiter und Bäckerfachwerker. Derzeit werden im Bezirk der Handwerkskammer Konstanz über 100 junge Menschen in diesen Berufen ausgebildet.

Mehr zum Thema Inklusion ist unter www.hwk-konstanz.de/handwerk-inklusiv zu erfahren.